
TEIL II STEIN UND MENSCH
Finsteraarhorn vom Furkapass
1 Das irdische Dasein
Das neunte Kapitel des ersten Teils meiner Arbeit trug die Überschrift «Eine andere Sichtweise». Darin erwähnte ich, dass alltäglich banale Vorgänge – wie die Vorgänge in einer Fonduepfanne oder der Auftrieb eines Schiffes im Wasser – als Hilfsvorstellungen für komplexe Prozesse im Erdinneren herangezogen wurden. Solche Analogien habe ich bewusst zurückgewiesen, nicht, um auf Fehlern herumzureiten, sondern um auf die Gesinnung hinzuweisen, aus der solche Erklärungsmodelle entstehen. Sie betätigt ein Denken, das zunehmend auf das Materielle und Mechanistische fokussiert ist. Es kann dabei der Mensch als der Schöpfer der Wissenschaft leicht aus dem Blickfeld verlieren.
Wäre diese Gesinnung heute Allgemeingut, müsste ich an dieser Stelle nicht weiter schreiben. Da heute jedoch noch viele Menschen offen sind für eine andere Sichtweise, nehme ich mir die Freiheit, andere Gesichtspunkte einzubringen. Das heutige Wissen soll nicht zurückgewiesen werden. Das entwickelte Wissen ist sehr wertvoll. Es soll jedoch ergänzt und erweitert werden, um den Menschen in einen grösseren Zusammenhang miteinzuschliessen.
Jeder Mensch trägt ein unmittelbares Naturerfassen in sich. Berge, Flüsse, Pflanzen, Tiere sind ihm vertraute Erscheinungen. Ebenso ist ihm das Erscheinungsbild der menschlichen Gestalt von der Kindheit an ein vertrautes, einheitliches Bild. Wenn ich einen Menschen begegne, dem ein Finger fehlt oder der einen Arm amputiert hat, dann wird die Gestalt als unvollständig erlebt. Er kennt die Ordnung des einheitlichen Erscheinungsbilds, auch wenn er sich das nur wenig bewusst macht. Die Gliederung nach Kopf, Rumpf, Gliedmassen (eine Dreiheit) sowie die Gliederung der Hand mit Fingern und Daumen (eine «Fünfheit» oder wenn man will: «die Vier und die Eins») ist ebenso selbstverständlich wie die Symmetrie der Gestalt in ein «rechts und links».
Auf Schritt und Tritt begegnet uns die Natur in geordneter Gliederung. Wir leben in vier Naturreichen: dem Mineralreich, dem Pflanzenreich, dem Tierreich und dem Menschenreich (vier Reiche). Wir kennen die vier Elemente (Erde, Wasser, Luft und Feuer), unser Lebensraum hat vier Himmelsrichtungen und in der Zeit leben wir in den vier Jahreszeiten. Diese Gliederungen sind nicht willkürlich, ebenso wenig die chemischen Elemente eines Minerals willkürlich sind. Sie stehen stets in fixen Verhältnissen zueinander (Bergkristall besteht beispielsweise aus Siliziumdioxid (Si O2)).
Die Kohärenz der Glieder der Naturreiche macht das irdische Dasein erst möglich. Als Glieder der Natur stehen sie nicht nebeneinander, sondern durchdringen einander und wirken zusammen als eine lebendige Einheit.
Ich möchte die einzelnen Glieder der Naturreiche kurz charakterisieren.
1.1 Mineralreich: Das Mineralreich umfasst alles "Mineralische", das besteht aus den vier Elementen: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Wenn die heutige Wissenschaft von Aggregatzuständen spricht (fest, flüssig und gasig) und das «Feuer-Element» als eine Form der Energie bezeichnet, ändert das an der grundsätzlichen Gliederung der Elemente nichts. Es ist nur eine andere Herangehensweise. Die Steine gehören also dem Erdenelement an und die Gesetze, die im Mineralreich wirken, sind alle die Gesetze der Kausalität.
1.2 Pflanzenreich: Das Pflanzenreich umfasst alles Vegetative. Es bildet Organismen, die vom Leben durchdrungen sind. Ihre physische Erscheinung ist durchdrungen von einem Lebensleib. In dem Lebensleib (auch Ätherleib genannt) sind wirksam: die Gesetze des Wachstums, der Fortpflanzung, der Evolution und so weiter. Diese Gesetze sind nicht kausal erklärbar. Die Entwicklung der Pflanzen ist von den Bedingungen abhängig, die im Organismus und in der ihr umgebenden Welt zu finden sind (über die Ätherkräfte und Bildekräfte werden ich im Teil III ausführlich zurückkommen).
1.3 Tierreich: Die Tiere haben einen physischen Leib, der von Vitalkräften durchdrungen ist (Lebensleib). Zudem sind die Tiere mit Sinnen begabt. Sie verinnerlichen Sinneseindrücke, die sie aus ihrer Umwelt und ihrer Leibesfunktionen empfangen. Ihre Sinneseindrücke bewirken Freude und Schmerz, Hunger und Durst. Dadurch besitzen sie zu ihrem physischen Leib und Lebensleib noch einen Empfindungsleib. Ein Empfindungsleib hat sowohl das Tier als auch der Mensch. Doch unterscheiden sich die Sinneswahrnehmungen des Tieres erheblich von denen des Menschen.
1.4 Sinneswahrnehmung beim Tier und beim Menschen: Der Mensch vermag die Sinnesempfindungen als "ein innerliches Gegenstück" zu den Wahrnehmungen zu erleben. Das Tier dagegen ist ganz Freude, ist ganz Schmerz, sobald seine Sinne diese Empfindungen in ihm hervorrufen. Er ist diesen Eindrücken ausgeliefert. Der Mensch erfährt das "Ausgeliefert-Sein" in Extremfällen. Normalerweise beobachtet der Mensch, wie die Empfindung spricht. Durch sein Ohr vernimmt er ein Geräusch, auch das Tier wird diesem Geräusch gewahr. Beim Menschen kann das Geräusch zum Klangerleben werden, ja es kann zum Erleben der Musik werden. Durch das Auge beobachtet der Mensch Farben, auch viele Tiere können Farben unterscheiden, aber beim Menschen können Farben zu einem Bild und zum Erlebnis der Malerei werden. Die Kunst ist uns Menschen durch die Sinne zugänglich. Wenn der Mensch beobachtet, was die Kunst in seinem Innern wachruft, so findet er Zugang zur Ästhetik. Diese Qualitäten kann sich nur der Mensch bewusst machen, das Tier nicht.
1.5 Die menschliche Individualität: Die menschliche Individualität ist einmalig. Das Jahr, der Tag und die Zeit ihrer Geburt, verbunden mit dem Geburtsort, den Eltern und dem sozialen Umfeld unterstreichen ihre Einmaligkeit. Schauen wir auf ihre Lebensspanne, so endet diese mit dem Ereignis des Todes. Ihre Biografie, die von ihrem individuellen Denken, Fühlen und Handeln geprägt wurde, vollendet sich als eine einmalige Geschichte.
1.6 Übersinnliche und untersinnliche Welten: Was alles in der Welt webt und lebt, ist nicht mit den obigen vier Naturreiche erschöpft. Der Mensch ist auch Bürger einer untersinnlichen und einer übersinnlichen Welt. Diese beide nicht-sinnlichen Welten sind mit den Naturreichen wie mit uns Menschen verwoben.
Zu den untersinnlichen Kräften gehören die unwahrnehmbaren Kräfte wie Elektrizität, Magnetismus, Strahlung und Atomkraft, die der Mensch durch Wissenschaft und Technik zu benutzen und zu manipulieren gelernt hat (in Teil III werde ich diese Kräftewelt ausführlicher besprechen).
Die übersinnliche Welt kann der Mensch durch sein Empfinden und Fühlen erleben. Steigert sich dieses Erleben, wie ich es später bei den Beobachtungsstufen der Steine schildere, gelangt er zu Imagination, Inspiration und Intuition. Imagination ist ein bildhaft übersinnliches Erleben. Bei der Inspiration wird eine Wesensbegegnung erlebt und durch die Intuition erlebt er unmittelbar das Reich des Geistes, zu dem ihm sein Denken die Grundlage bietet. Mit Intuition ist nicht das oberflächlich zufällige Gedankenspiel oder ein dumpfes Bauchgefühl gemeint. Das Beobachten, Erleben und Beurteilen dieser nicht-sinnlichen Welten ist eine Herausforderung. Meine Ausführungen geben da keine abschliessenden Schlussfolgerungen. Sie mögen aber den Boden für eine mögliche Verständigung abgeben.
1.7 Zusammenfassend
Warum gab ich diese Einteilung?
Die Bereiche des irdischen Daseins habe ich äusserst knapp charakterisiert. Vertieft man sich in diese Seinsbereiche, können sie einem wie eine Orchester-Partitur vorkommen. Was auf der Partitur sauber getrennt aufgeführt ist, erklingt in der Symphonie zusammen. Dasselbe gilt für das irdische Dasein. Wir müssen uns bemühen, die einzelnen Bereiche nicht durcheinander zu bringen, damit aus dem Zusammenwirken der Kräfte keine Kakophonie entsteht.
Werden für unerklärliche Zusammenhänge Erklärungen konstruiert, erzeugen diese allzu oft eine Kakophonie. Es ist völlig deplatziert von einer «Seele» eines Steins zu sprechen. Der gesunde Menschenverstand weiss, dass der Stein anorganisch ist und keine Seele hat. Spricht man von der Wirkung von Steinen als von «Schwingungen» oder «Frequenzen», damit man für ein Nicht-Sinnliches wenigstens einen Namen hat, so spricht man Unsinn. Denn Schwingungen und Frequenzen (ja, die ganze Skala elektromagnetischer Frequenzen) sind physikalisch nachweisbar, auch dann, wenn bestimmte Frequenzen für unsere Sinne nicht mehr wahrnehmbar sind.
Ich las einmal, wie jemand phantasierte über schöne und hässliche Kristalle in der Weise, dass in den schönen Kristallen die Elementarteilchen in Harmonie schwingen, in den hässlichen aber in Disharmonie. Damit wurde eine neue Welt erfunden, die der Atomtheorie gründlich widerspricht.
Mit pseudowissenschaftlichen Diskursen dieser Art versperrt man sich den Zugang zu dem Phänomen des Dialogs mit Steinen.
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