
3 IN DIALOG MIT KRISTALLEN
3.4-3.6 KRISTALL-ERLEBEN
Vorbereitende Sichtweise für die folgenden drei Stufen der Beobachtung
Die folgenden Stufen der Beobachtung haben in ihrer Art einen völlig anderen Charakter. Vielleicht gelingt es mir dies durch einen Vergleich mit alltäglichen Beobachtungen verdeutlichen.
Wenn ich morgens ins Bad gehe, finde ich meine Haarbürsten am gewohnten Platz, wenn ich später in die Küche komme, steht der Wasserkocher am üblichen Platz. Ich wäre ziemlich verwirrt, wenn das alles nicht so wäre. Wenn ich die Zimmerpflanzen giesse, kann es sein, dass ich plötzlich eine neue Knospe entdecke oder sehe, wie eine Blüte aufgegangen ist. Solche Beobachtungen beziehen sich auf die physische und auf die vegetative Welt. Ich kann diese Beobachtungen wiederholen und werde bei der Wiederholung die gleichen Beobachtungsresultate haben.
Anders verhält es sich mit den Erscheinungen in der Tierwelt. Der Vogel, der eben noch die Körner vom Futterhäuschen gepickt hat, ist im nächsten Moment schon wieder weg. Das Reh, das eben noch draussen gebellt hat, bellt nicht mehr und ist verschwunden. Wenn ich aufmerksam bin, kann ich auf die Umstände schliessen, die das Erscheinen des Vogels oder das Bellen des Rehs wie auch ihr Verschwinden verursacht haben.
Aber was passiert, wenn ich einem Menschen begegne? Die wirkliche Begegnung ist jedes Mal einzigartig und neu, das weiss jeder aus eigener Erfahrung. Komme ich zum Beispiel an der Tramhaltestelle mit jemandem ins Gespräch, so ist diese Begegnung ein nächstes Mal nicht auf diese Weise reproduzierbar.
Die Beobachtungen der vierten, fünften und sechsten Stufe haben die Besonderheit, dass sie für mich nicht wiederholbar sind im Sinne eines Experiments. Diese Beobachtungen folgen anderen Gesetzmässigkeiten, sie ereignen sich nur im "Jetzt" und sind nicht willkürlich wiederholbar. Aus diesem Grund ist mir die Erfahrung der menschlichen Begegnung eine so wertvolle Verständnishilfe, dass ich die weiteren Beobachtungsstufen eher Begegnungen als Beobachtungen nennen möchte.
3.1 Amethystdruse

Amethystdruse, Brasilien (45x35x35cm)
Als ich meine Hand in den Drusen-Raum hielt, erfuhr ich sofort die zentrierte Strahlung in der Mitte und als ich meine Hand auf die Aussenseite der Druse legte, dann ging vom Zentrum eine schwächere Strahlung aus – radial zur Wölbung – in den umgebenden Aussenraum.
Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Strahlkraft eine immerwährende und gleichmässige «Liebekraft» ist, die der Stein der Welt schenkt. Wenn ich Unterschiede erlebe, so muss ich sie meinem eigenen Zustand zuschreiben.
Was ich jetzt beschreibe, ist keine alltägliche Erfahrung, es sind besondere Ereignisse, die mir an dieser Schwelle der Kristalle keine alltäglichen Beobachtungen sind.
Der Druse-Raum verwandelte sich in einen Lichtraum und ich wurde mit meinem ganzen Brustkorb eins mit diesem Lichtraum. Hier geschah, was ich auch bei anderen Beobachtungen erlebte. Ich «verschmelze» oder ich «werde eins» mit dieser Strahlkraft. Es gibt kein Objekt und kein Subjekt, kein «Du» und kein «Ich» und doch: Ich beobachte dieses Einssein von einer höheren Ebene aus.
3.2 Wesensbegegnungen
3.2.1 Bergkristall, Sydney
Ich besuchte das Naturhistorische Museum in Sydney und fand im oberen Stockwerk einen grossen Bergkristall ausgestellt. Er war vielleicht etwa 50 bis 60 cm hoch und hatte einen Durchmesser von vielleicht 25 cm. Als ich ihn berührte, erlebte ich eine tiefe Schwingung, die wie der tiefe Ton eines angeschlagenen Gongs klang. Die Schwingung war sowohl im Kristall als auch in mir zugleich und es tönte ununterbrochen. Es manifestierte sich aus diesem Tönen eine urvergangene Zeit, die von diesem Kontinent und seinen Ureinwohnern alles umfasste. Wieder war das Erleben so, das etwas «von aussen» zugleich «mit meinem Innersten» zu einer Einheit verschmolz. Als plötzlich eine Schulklasse auftauchte und ich die Beobachtung abbrechen musste.
Später habe ich versucht dieses Tönen mit einer Skizze zu visualisieren.

3.2.2 Quarzkristallstufe aus dem Val Fêrret (CH)

In den 1980er Jahren verbrachten wir unsere Ferien im Wallis. Bei einer Wanderung im Val Ferret fanden wir eine mächtige, weisse Quarzstufe mit unzähligen Kristallflächen. Vielleicht gehörte er einst zu einem grossen Quarzband, das sich irgendwo durch den Felsen zog. Ich nahm diesen Quarz mit nach Hause. Wir legten ihn in den Garten. Später, als wir Weihnachten feierten, holte ich die Quarzstufe und legte sie unter den Weihnachtsbaum bei der Krippe. Da realisierte ich mich, dass ich sie nie begrüsst hatte. Ich hatte wohl Freude an ihr gehabt, hatte sie öfters angeschaut, aber begrüsst hatte ich sie nicht.

Bei der Begrüssung spürte ich deutlich klare Kraftlinien in den Raum verliefen. Manchmal bündelten und verstärkten sie sich, ich konnte die Richtungen der Kraftlinien unterscheiden.
Später säuberte und schruppte ich die Quarzstufe und legte sie in meine Werkstatt. Immer wieder nahm ich mir die Zeit diesen Stein besser kennen zu lernen.
Eines Abends, als ich wieder vor diesem Stein stand und alle innerseelischen Haltungen durchlaufen hatte, durchströmte mich eine ungewöhnliche Kraft. Der Kraftstrom ging vom Stein in die Hände, durchlief die Arme und über die Schulter in den Rücken. Ich bekam überall eine Gänsehaut und dann erstrahlte ein helles, weisses Licht vor meinem inneren Blick. Dieses Licht wuchs, besass eine unvermittelte Aufrechte und wurde zu einer strahlenden Lichtsäule, die transparent erschien und an deren Fuss ich in Ehrfurcht verharrte. Ich war innerlich zutiefst beeindruckt. Dieses Erlebnis hat mich noch lange begleitet, aber in dieser Eindeutigkeit nicht wiederholt.
3.2.3 Turmalinscheibe
Ich war zu Besuch bei einem Edelsteintherapeuten, als er mich für kurze Zeit in seine Steinausstellung zurückliess. Es gab dort viele Steine zu bewundern. Mein Blick fiel auf eine Scheibe, die etwas im Dunkeln im Regal stand. Kaum konzentrierte ich mich auf diese Scheibe, tauchte im Innern ein deutliches Bild von ihr auf. Das innere Bild und die Scheibe im Regal waren eins, äusserlich natürlich räumlich getrennt, aber erlebnismässig vereint. Das Bild machte einen gewaltigen Eindruck auf mich.
Nun schaute ich mir die schlichte Halterung an, in der diese Scheibe gefasst war. Das innere Erleben verschwand, ich war wieder bei der reinen Sinnestätigkeit. Aber sobald ich mich wieder auf die Scheibe konzentrierte, kam das Bild mit einer auffordernden Strenge zurück. "Aussen" und "Innen" verschmolzen wieder, "Objekt" und "Subjekt" wurden wieder ein Sein, während ich selbst als Dritter diesen Vorgang beobachtete.
Solche Erlebnisse sind für mich "Wesensbegegnungen". Ich war keineswegs "entrückt".
Als der Besitzer zurückkam, erzählte ich ihm von meinem Erleben. Ich musste es als "tiefreligiös" bezeichnen. Er zeigte Verständnis, nahm er die Scheibe aus der Halterung, ging zum Fenster und liess das Licht durch die Scheibe fallen. Jetzt wurde sichtbar, was im Regal nicht zu erkennen war, es war eine Turmalinscheibe mit wunderschönen Farben.
Zu Hause visualisierte ich das Bild und versuchte es zu zeichnen.

Unabhängig von Raum und Zeit, das heisst unabhängig von der räumlichen Distanz zum Objekt, konnte ich das Erleben immer wieder aktualisieren. Es ist keine Erinnerung, es bleibt ein Vorgang, den ich aktiv vollziehen muss.
Wenn ich genau bin, muss ich sagen: Innen und Aussen, Erlebniswelt und Objektwelt (die zwei, die sonst immer getrennt sind) vereinen sich auf eine andere Stufe. Ich bin nur noch der stille Betrachter dieses Vorganges, der Beobachter, der mich selbst in ungetrennter Vereinigung mit dem Wesen dieses Steines gewahr wird. Einmal erkannt bleibt diese Wesens-begebnung, wie man eine Wahrheit auch unabhängig von Raum und Zeit immer wieder wachrufen kann.
3.3 Rein geistiges Erleben
Ich nannte die sechste Stufe, die Stufe der Intuition oder des Erlebens eines rein geistigen Inhaltes. Meine Schilderungen werden deutlich machen, dass diese Stufe nichts mit dem zu tun hat, was einem spontan in den Sinn kommt, sie ist weder Brainstorming noch Bauchgefühl.

Lebensquelle, Gips, 1975 (Grösse: 1 x 1 meter)
3.3.1 Lebensquelle
Bei der Arbeit an diesem Relief, das ich Lebensquelle nannte, arbeitete, erlebte ich die sechste Stufe der Beobachtung in doppelter Weise. Es war, als ob sich die Wand auflöste. Obwohl ich das Material nur auf der Reliefplatte formte, konnte ich die formenden Kräfte weit in die Wand hinein verfolgen. Ein Bewegen und Wogen von Formkräften lebte in diesem Relief. In diesem Bewusstsein vor dem Relief stehend, erschien mir in einiger Distanz mein Grossvater. Er schaute mich an, sprach nicht. Sein Blick war offen und liebevoll. Am Abend erfuhr ich, dass er an diesem Nachmittag gestorben war, und ich verstand den Gruss, den er mir gebracht hatte. So eröffnet das Kunst-Schaffen neue Ebenen der Begegnung. Begegnungen, die im Alltag nicht möglich sind.
3.3.2 Kristalle gestalten

Bergkristall, Göschenen, CH Amethyst, Kongo Bergkristall, Galmigletscher, CH Nr.292, Grösse: 140x100x70 mm Nr.675, Grösse 150x150x100 mm Nr. 843, Grösse: 130x110x80 mm
Bei den Bergkristallen muss man sich vorstellen, dass es sich um zerschlagene Reste von Strahlern handelte. Sie wogen etwa 3 bis 4 kg, waren unansehnlich und wiesen keine Kristallflächen auf.
Der mittlere, ein Amethyst, wurde wahrscheinlich als Bruchstück aus einem grösseren Amethystfund herausgebrochen.
Um diese Kristalle zu bearbeiten, brauchte ich für jeden etwa 50 Stunden. Während ich sie zu den Schleifrädern führte, hielt ich sie immer in der Hand (siehe die Seite «Schleifmaschine»). Ich war ständig in Kontakt mit den Kristallen, drehte und wendete sie, und kontrollierte ihre Oberflächen. Wenn die Oberfläche keine Brüche und lose Teile mehr aufwies, musste ich ihre Standfläche bestimmen und diese schleifen. So wurde ihre Beziehung zum Raum endgültig. Wie verliefen die ansteigenden Flächen, wo wurden sie von anderen Flächen geschnitten, wie sollten die Kanten verlaufen? Wurde die Gestaltung zu rund, wurden sie «stumpf». Wenn die Flächen weit über den Stoff hinausgingen, sich ins «Unendliche» streckten, wurden sie «wach» und ihre Ausstrahlungskraft nahm zu. Die meiste Zeit habe ich auf die Flächenlagen verwendet, weil diese für die Komposition die wesentlichste sind.
Eine kleine, visuelle Erläuterung zu dem Ausdruck "zerschlagene Reste von Strahlern". Wie sehen solche Stücke aus und wie können sie verwandelt werden? Vier Rauchquarze von Göscheneralp als Beispiel.


Die Reihenfolge der Rauchquarze: 308, 309, 311, 312
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