NOMENKLATUR

1.2b Anekdote

Ein Grossteil meiner beruflichen Tätigkeit arbeitete ich in der Heilpädagogik. Dazu eine kleine Anekdote.

Eine Oberstufenklasse kam zu mir in den Werkunterricht. Diesmal hatte ich Stühle um die Wandtafel gestellt, und als sie sich gesetzt hatte, nahm ich eine Kreide und zog freihändig eine Kreislinie an die Tafel. «Was habe ich da gezeichnet?», fragte ich. «Einen Kreis», lautete die Antwort. «Schaut euch diesen Kreis mal genauer an», forderte ich sie auf, «ist er richtig?» Wenn man einen Kreis freihändig zeichnet, so sieht er anders aus, als wenn man ihn mit dem Zirkel zieht. Da meldete sich ein Schüler: «Da rechts, das stimmt nicht ganz». «Wo genau?», fragte ich, «komm an die Tafel und leg deine Finger drauf». Er kam nach vorne und genau dort, wo die Kreislinie einbog, legte er seine Finger hin. «Soll die Linie nach aussen oder nach innen gehen?», fragte ich ihn. «Nach aussen», war seine Antwort. «Dann korrigiere ich die Linie», sagte ich und zog die Korrekturlinie. Nun waren alle Schüler aufmerksam geworden und als ich sie weiter fragte, kamen spontan viele andere nach vorne und gaben ihre Tipps. Der Kreis wurde perfekt. Dann fragte ich die Klasse: «Woher wisst ihr das alles? Nirgendwo konntet ihr die Kreislinie mit einem Kreis vergleichen. Womit habt ihr also meine Kreislinie verglichen? Ihr trägt das Bild des vollendeten Kreises in euch. Ihr braucht mich nicht mehr zu fragen, ob eure Schalen kreisrund sind, ihr könnt eure Schalen selbst korrigieren».

Die Anekdote zeigt auf, dass wir unseren geistigen Fähigkeiten viel mehr Vertrauen schenken sollen. Wir finden die Wahrheit nicht durch Vergleiche, durch Nachschlagewerke, Berechnungen oder indem wir Google oder KI befragen. Die Anekdote zeigt auf, dass wir selbst die Quelle sind, die zu befragen ist.


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